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Musik ist nicht wertlos: Hintergründe

Vor wenigen Tagen erstellte ich eine Online-Petition mit dem Titel „Musik ist nicht wertlos – Quo Vadis, Musikstadt Wien?“. Der konkrete Auslöser war eine Aktion der Wiener Linien und der Wiener Stadträtin Ulli Sima, bei der Musikerinnen und Musiker angesprochen wurden und deren Bedingungen ich respektlos und nicht akzeptabel fand. In den ersten vier Tagen wurde die Petition bereits über 1900 Mal unterzeichnet, ich stehe mit meiner Meinung also nicht alleine da und bin den vielen Menschen für ihr Engagement dankbar.

Über die Petition kam ich mit vielen Menschen ins Gespräch und wurde immer wieder gefragt, was eigentlich deren Ziel sei, bzw. ob und wie sich ihr Erfolg oder Misserfolg auswirken würde. Die zweite Frage war die nach meiner persönlichen Motivation. Beide Fragen möchte ich hier beantworten.

Für die Petition musste ich einen einzelnen Adressaten und eine konkrete Forderung angeben. Da Stadträtin Ulli Sima als offensichtliche Schirmherrin des Projekts explizit genannt wurde und es in einem Promo-Video auch persönlich bewirbt  („…denn bei uns dürfen nur die Besten spielen…“), ist sie die Empfängerin der Petition. Im Beschreibungstext sprach ich auch Stadtrat Mailath-Pokorny an, denn für meine Begriffe tangiert Musik auch im öffentlichen Raum das Kulturressort.

Die Forderung selbst ist knapp formuliert:
„Ich fordere Frau Sima auf, sich klar von diesem ausbeuterischen Konzept zu distanzieren und umgehend für faire Arbeitsbedingungen zu sorgen. Ebenso fordere ich den Wiener Kulturstadtrat Mailath-Pokorny zu einer Stellungnahme auf – diese
Angelegenheit berührt unzweifelhaft sein Ressort.“

Isoliert betrachtet ist die erste Frage also einfach zu beantworten: wenn die Teilnahmebedingungen für die „Wiener U-Bahn-Stars“ so verändert werden, dass teilnehmende Musikerinnen und Musiker unter fairen und korrekten Bedingungen auftreten können, ist das Petitionsziel erfüllt. Bleiben sie unverändert, wurde das Ziel verfehlt.

Die Antwort auf die zweite Frage dauert etwas länger: meine Motivation, die der ersten Frage auch ihren Kontext gibt, liegt in der allgemein äußerst problematischen wirtschaftlichen Situation der Musikschaffenden, nicht nur in Wien und auch nicht nur in Österreich. Ich bin kein Gesandter der Straßenmusik, mir geht es um die gesamte Musikszene. ProfimusikerInnen sind heute mit Arbeits- und damit Lebensbedingungen konfrontiert, die mit „Prekariat“ nur unzureichend beschrieben werden können. Prekär sind inzwischen viele Arbeitsverhältnisse, aber Musikerinnen und Musiker verelenden. Ihre Einkommen sind geradezu lächerlich gering. Das lässt sich wahrscheinlich nicht von heute auf morgen verändern, aber zumindest das Bewußtmachen des Problems und der – auch öffentliche – Diskurs sollte uns Musikschaffenden, aber auch allen Menschen die Musik lieben und als Teil ihres Lebens betrachten (somit dem Großteil der Gesellschaft) ein wesentliches Anliegen sein.

Wer sich für Musik als Beruf entscheidet, nimmt wirtschaftliche Abstriche und Risiken in Kauf, das ist keine neue Erkenntnis. Mit Musik wird man, von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht reich. Wer Geld liebt, sollte lieber etwas anderes mit seinem Leben anfangen.

Dennoch ist Musik in unserer verdienstleisteten Zeit eben auch das: eine Dienstleistung. Man kann es an zahlreichen Institutionen studieren und als freies Gewerbe ausüben. Diese Leistung ist sehr gefragt, nur bezahlen will sie kaum noch jemand. Es ist völlig absurd: heute sind Dienstleistungen einfach überall und alles hat seinen Preis – nur Musiker sollen ihre Leistung grundsätzlich gratis erbringen. In keiner anderen Branche wäre soetwas denkbar. Versuchen wir doch einmal, Rechtsanwälten, Elektrikern, Automechanikern, Zahnärzten, Steuerberatern und den jeweiligen -innen ihre hochspezialisierten Leistungen um eine unverbindliche Spende abzukaufen– mit der Argumentation, dass ihnen ihre Arbeit doch auch Spaß mache und möglicherweise in Zukunft bezahlte Folgeaufträge winken könnten und außerdem: es werde ja niemand dazu gezwungen und man kenne jemanden, der das eh gerne in seiner Freizeit mache. Eine lächerliche Vorstellung, niemand, absolut niemand würde sich darauf einlassen. Leistung kostet und das wird allgemein akzeptiert. Außer eben bei Musikern.

Einen Beruf zu erlernen erfordert immer einen beträchtlichen Einsatz von Zeit, Energie und Geld. Im Unterschied zu den meisten anderen Studienrichtungen, bzw. darauf aufbauenden Karrieren benötigen Musikerinnen und Musiker allerdings auch noch besonderes Talent, die Ausbildungszeit dauert Jahrzehnte anstatt Jahre, lebenslanges Lernen (und Üben) ist tatsächlich zwingende Realität und nicht nur eine Worthülse, und die Investitionskosten in das Arbeitsgerät (Instrumente und Equipment) übersteigen jene vieler anderer freier Berufe deutlich. Die Hürden sind also sehr hoch, aber das nehmen Musikschaffende in Kauf. Hätten uralte Vorstellungen wie „Akademiker mussten lange studieren und viel lernen, daher werden sie gut bezahlt.“ jemals Richtigkeit besessen, wären Musikschaffende traditionellerweise immer finanziell gutgestellte Menschen gewesen. Zu einer tatsächlichen monetären Abgeltung des enormen Aufwands hinter einer Musikerlaufbahn wird es wohl niemals kommen, das wird von der großen Liebe zum Tun auch teilweise kompensiert. An einer „normalen“, anständigen, wenigstens durchschnittlichen Vergütung – und zwar im  Vergleich zu anderen freien Berufen (!) – führt aber kein Weg vorbei. Es sei denn, wir als Gesamtgesellschaft verzichten bewußt und dauerhaft auf hochwertige Musik auf professionellem Niveau, dann allerdings in Stadthalle, Konzertsaal, Disco, Festival und Jazzclub gleichermaßen. Bleiben wir auf dem derzeitigen Kurs, wird das Schaffen von Musik nämlich in naher Zukunft nur mehr als Hobby möglich sein und die Möglichkeiten von Hobbyisten sind nunmal begrenzt.

Daraus lässt sich nun doch noch eine kurze Antwort auf die Frage nach meiner Motivation ableiten: ich will die kurzfristig gesteigerte Aufmerksamkeit für das Thema „Musik ist nicht wertlos“ nutzen, um in möglichst öffentlichem Rahmen und möglichst lautstark auf einen Missstand hinzuweisen, der sonst meist unter der Wahrnehmungsschwelle bleibt.

Marina Zettl – eine Ausnahmeerscheinung

Mit überaus hohen Erwartungen ging ich zu Marina Zettls Albumpräsentation für „Watch me burn“ am 15.10.13 im Wiener Local. Ich hatte die Grazer Sängerin vor einiger Zeit eher zufällig im Internet gefunden und ihr letztes Album, „Thin Ice“, eine ganze Weile im heavy rotation-Modus verschlungen.

Marina ist eine dringend benötigte Ausnahmeerscheinung im ermüdenden Meer von Eh-auch-Jazzsängerinnen. Sie begreift ihre Stimme als vollwertiges Instrument, nicht als gefälligen Textgeber versus Musik. Sie biedert sich weder an die pathologische Ella-Schule an, noch mimt sie das Popsternchen. Ihr Organ ist voller Ecken und Kanten; unverkennbar, charaktervoll, eigenwillig. Mit äußerster Entschlossenheit und organischer Virtuosität singt sie sich blitzsauber und selbstverständlich durch ein wundervoll hit-untaugliches Programm.

Ihre Mitstreiter tun ihr übriges; Thomas Mauerhofer an konventioneller- und achtsaitiger Gitarre und Jörg Haberl am Schlagzeug (beide bringen auch erstaunlich saubere Chorstimmen ein) spielen tight, songdienlich und uneitel. Bessere Begleitung kann sich eine Solistin kaum wünschen.

Die Songs lassen immer wieder einmal Pop-Potential aufblitzen – um sich gleich darauf durch intelligente Wendungen beinahe bockig jeglicher Charts-Idiotie zu entziehen. Wohltuend.

Der Abend war wunderbar; die Hoffnung stirbt vielleicht irgendwann, aber noch nicht jetzt. Danke Marina.

angetan,
AY

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Mulis für Musiker (offener Brief)

Geschätzte Wiener Grüne,

ich möchte anlässlich der in jeder Hinsicht mühevollen Debatte rund um die neue Un-Fußgängerzone in Wien auf einen Aspekt hinweisen, der für die Allgemeinheit völlig irrelevant, für eine bestimmte Berufsgruppe ohne jegliche Lobby jedoch immanent wichtig ist, nämlich die der MusikerInnen.

(In meinem Weltbild sind Frauen und Männer gleichwertig und gekünsteltes „Gegendere“ überflüssig, ich verzichte daher in der Folge darauf.)

Ich beziehe mich hierbei weder auf klassische Musiker, die im Optimalfall mit einem Flötenetui unterm Arm, im schlimmsten Fall mit einem Cellokoffer auf dem Rücken per U-Bahn zum Musikverein oder Konzerthaus unterwegs sind (Kontrabässe, Harfen und ähnliches Großgepäck werden zumeist von den Orchestern transportiert), noch auf Popstars, die auf dem Weg zur Arbeit ganze Speditionen auslasten.
Ich spreche von der weit größeren Gruppe von Musikern, die ihr geradezu obszön bescheidenes Einkommen damit erwirtschaften, in größeren Städten von Lokal zu Lokal zu tingeln, um für unglaublich geringes Honorar ihr künstlerisches Schaffen zu präsentieren. Die meisten von ihnen benötigen dafür Instrumente und verwandtes Equipment. Damit ist nicht der Junge mit der Wandergitarre am Schnürsenkel gemeint und auch nicht die Irish Folk-Geigerin. Sondern Schlagzeuger, Gitarristen, Keyboarder, deren Arbeitsgerät einen ausgewachsenen Kombi-PKW zur Gänze ausfüllt. Bands, die komplette Beschallungsanlagen selbst mitbringen müssen.

Es ist vollkommen ausgeschlossen, derartiges Equipment mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu transportieren. Man fährt daher seit jeher mit dem Auto zum Konzert, stets in der naiven Hoffnung, beim Ein- und Ausladen nicht von eifrigen Exekutivbeamten belangt zu werden und einen einigermaßen nahe gelegenen Parkplatz zu finden.
Bedingt durch das, was die herrschende Klasse „Parkraumbewirtschaftung“ zu nennen pflegt, ist Livemusik seit langem nur mehr durch andauernde Gesetzesübertretung möglich, denn mit den großteils erlaubten zwei Stunden Kurzparkzeit vor 22 Uhr geht sich kein Auftritt aus. Man schreibt also eifrig einen Parkschein nach dem anderen, die „Organe“ drücken dabei bekanntlich beide Augen zu, denn der Umsatz stimmt ja. Auf diese Weise fließt oftmals ein solide zweistelliger Prozentbetrag des eingespielten Honorars gleich in die Parkgebühren. Das ist keinesfalls eine Übertreibung, Musikern wird hierzulande in der Clubszene wirklich so wenig bezahlt.

Nun kommt ein neuer Faktor ins Spiel: durch verkehrsberuhigte Bereiche und Fußgängerzonen (auch richtige) werden immer mehr Schneisen durch die Stadt geschlagen, die mit privaten Autos effektiv nicht mehr erreicht werden können/dürfen. Vormittägliche Ladezeiten sind dabei unerheblich, denn wir laden für gewöhnlich am frühen Abend aus und mitten in der Nacht wieder ein – und könnten dazwischen sowieso nicht wegfahren. Überaus selbstbewußte Statements gewisser Bezirkspolitiker lassen auf den zukünftigen Kurs schließen: Autofahrer sollen einfach nicht „hier“ fahren, sondern halt „woanders“. Unglücklicherweise befinden sich gerade Livemusik-Venues zumeist nicht „woanders“, sondern in genau jenen Stadtbereichen, die von übermäßigem (oder gleich allem) Straßenverkehr befreit werden sollen.

Daraus ergibt sich eine simple Frage: wie soll ich als Musiker mit einem knappen Kubikmeter Instrumenten, Verstärkern und Zubehör zu meinem Auftrittsort gelangen, wenn ich dort nicht nur nicht parken, sondern gleich gar nicht hinfahren darf? Selbst das trendige Lastenfahrrad scheidet als Alternative aus. Soll ich mir vielleicht jedesmal ein Taxi bestellen? Lokalbetreiber (das sind die mit den stets freifallenden Umsätzen, die mittlerweile bereits über Freigetränke diskutieren, nachdem man ohnehin gegen FREIE SPENDE(!) gespielt hat) werden mir die Fahrtkosten sicher gerne ersetzen…

Wir Musiker sind eine für die Politik außerhalb unsäglicher Wahlkampfveranstaltungen und feierlicher Eröffnungen absolut wertlose Menschengruppe; zu wenige, latent renitent, ohne Lobby im Rücken, vorallem aber finanziell impotent. Dennoch bringen wir eine hochspezialisierte Leistung in die Gesellschaft ein, die sehr vielen Menschen abgehen würde – allerdings erst, wenn sie vom Erdboden verschwunden wäre. (Woran unsere selbsternannte Kulturnation ja auch mit großem Eifer arbeitet.) Auf strategisch/langfristiger Ebene wird zumindest am Rande darüber diskutiert – Die Unebenheiten in Österreichs Medienlandschaft und Förderwesen sind wohlbekannt und –benannt. Was ist aber mit kleinen, banalen Problemchen wie diesem: wenn die Stadt autofrei wird, kann ich meinen Auftrittsort nicht mehr erreichen?

Was sagt Ihr dazu, geschätzte Wiener Grüne?

Mit freundlichen Grüßen
Alex K. Yoshii

Rebekka Bakken, 04.07.13, Staatsoper Wien

Das erste Mal habe ich Rebekka Bakken vor etlichen Jahren im Wiener Konzerthaus richtig erlebt. Davor hatte ich einen Auftritt beim Donauinselfest nur am Rande mitbekommen. Ich kann mich sehr gut an jenen Abend im Konzerthaus erinnern. Sie präsentierte damals das „Is that you“-Album und verzauberte den großen Saal mit Präsenz und selbstverständlicher Musikalität. Ich war völlig hingerissen. Sie war damals noch längst nicht so bekannt und schien erreichbar, ich beschloß noch während des Konzerts, dass ich mit dieser Frau musizieren würde. Daraus wurde leider bislang nichts. Dennoch (sic) wurde sie immer erfolgreicher und eine Weile schien es, als würde sie sich in die damals rasant wachsende Riege der skandinavischen Jazzvokalistinnen einreihen. Das tat sie nicht, stattdessen bewegt sie sich seitdem rastlos zwischen Jazz, Pop, Country und Folk hin- und her.

Meine Kollaborationspläne mit Rebekka Bakken musste ich mit ihrer Abreise jedenfalls auf Eis legen (wenngleich ich ihr – in einer anderen Zeit, in einem anderen Leben, auf einem anderen Planeten – immerhin bei einem Problem mit einem skandinavischen Möbelhändler behilflich war. Auch eine Form von Zusammenarbeit.).
Sie verließ Österreich, zunächst gen Norden, und die folgenden CDs, vor allem „I keep my cool“, überzeugten mich nicht so sehr wie „Is that you“ oder die vorangegangenen Alben mit Wolfgang Muthspiel. Ich bin zugegeben auch kein großer Fan von typischen Studioproduktionen und guten Livemitschnitten meist mehr zugetan.

Umso gespannter war ich auf ihr Konzert in der Wiener Staatsoper im Rahmen des Jazzfest 2013. Die Band, bestehend aus Schlagzeug (anfänglich im Loudness-Modus mit zu scharfen Overheads und zu wuchtiger Kickdrum), Bass, Klavier und zwei Gitarren, betrat die Bühne und legte kurz und bündig den roten Teppich für die Chefin aus. Rebekka Bakken, stets eine organische Melange aus unprätentiös rustikal und ätherisch divenhaft, erschien und machte von vornherein klar, dass sie in musikalischer Mission unterwegs war, nicht auf Popstar-PR-Feldzug.

Nach zwei Songs und zehn Minuten war ich genauso verzaubert wie damals im Konzerthaus. Die seltsame Frau aus dem gar nicht mal so hohen Norden versteht es wie keine zweite, mit ein paar simplen Klavierakkorden, einer mächtigen Hallfahne und sparsamer Melodik eine geradezu zwingende, unglaublich dichte Atmosphäre zu erzeugen. Ihre eigenwillige Stimme bringt unzählige Klangfarben hervor, die Intonation ist schlafwandlerisch sicher, das Phrasing organisch und klar. Ob Popsong, norwegisches Traditional, lyrische Ballade oder Modern Jazz: ich glaube dieser Musikerin. Ich kaufe ihr die musikalische Auffassung ab, genauso wie das ehrlich missglückte Klavier-Intro oder den bad-hair-day-rant. Sie ist echt, unverfälscht, rauh, kantig. Und eine wundersam wunderbare Bühnenerscheinung. Sie ist Diva und Bäuerin gleichzeitig, zieht dem Widerspruch dabei den Boden unter den Füßen weg; alles fließt und macht Sinn.

Rebekka Bakkens Band ist ebenso bemerkenswert; eine eigenwillige Combo der Gegensätze.
Da wäre der Bassist, ein unauffälliger Präzisionsarbeiter. Super tight, ohne jemals aufzufallen oder herauszustechen. Ganz im Gegensatz zum Schlagzeug: extrem individueller Stil (auch optisch) und unverkennbarer Sound auf der einen, merkbare Temposchwankungen auf der anderen Seite. Jedes (jedes) Stück wurde mit dem Schlagzeugeinsatz um gute fünf Prozent schneller. Grenzwertig, vorallem bei Balladen.
Ein Pianist, ein bisschen wie ein Fremdkörper wirkend, aber höchst musikalisch und uneitel.
Zwei Gitarristen wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Der eine bombensicher, absolut routiniert, mit herrlichen, riesigen Cleansounds, wie ich sie in dieser Qualität schon lange nicht hören konnte (Dank an die selbstbewußt musikalische Tontechnik der Oper), dafür phasenweise etwas generisch. Die Antithese auf der gegenüberliegenden Bühnenseite: persönlich, involviert, risikoreich, stets an der Kippe, dafür mit genialischen Momenten.

Das Konzert war großartig und die Aufnahme durch das Publikum adäquat. Rebekka Bakken und ihre Band hätten zweifellos noch lange weiterspielen können. So mussten wir uns mit einem perfekt eingespielten Zugabenblock begnügen, inklusive eines Zuckerls im Wiener Dialekt, das in all seiner Plattheit durch die skandinavische Trockenheit gefiltert am Ende gar nicht mehr platt wirkte, sondern liebenswürdig und respektvoll.

Rebekka Bakkens Musik und Sound ist tendenziell kühl, zeitweise eisig. Gleichzeitig wärmt sie auf elegante und niemals anbiedernde Art das Herz. Eine wahrhaftig außergewöhnliche Qualität. Und ich muss doch ein Projekt mit ihr starten…

beglückend gekühlt,
AY

Gansch & Roses, 25.06.13, Konzerthaus Wien

Wagners Ring, komprimiert auf zwei Stunden, arrangiert für ein kleines Bläserensemble, ein Streichquartett, eine Stimme, ein Klavier und Schlagzeug. Eine vollkommen irrsinnige Idee. Genau das Richtige für Thomas Gansch: Nibelung’s Ring a Ding

Als krönenden Abschluss seines „Gansch anders“-Zyklus beringte er gleich zweimal den Mozartsaal. Wagner-Puristen mögen sich vor Entsetzen gekrümmt haben; für alle anderen Besucher war es ein fulminant-unterhaltsamer Abend auf höchstem musikalischen Niveau. Erwartungsgemäß war das Gansch-sche Augenzwinkern stets präsent und sorgte für die nötige Balance zwischen Brot und Spielen.

Besonders hervorzuheben wäre zunächst einmal Thomas Gansch selbst. Seine Arrangements rund um Wagners Leitmotive sind intelligent und spannend. Sein Trompetenspiel ist brilliant: klassische Tonkultur verbindet sich organisch mit spektakulären Lines und unnachahmlichem Phrasing.

Das Ensemble war eine in solcher Konsequenz selten anzutreffende Melange aus Jazz- und klassischen Musikern; letztere rekrutiert aus fast allen großen Orchestern des Landes.

Als besonderer Publikumsliebling entpuppte sich Wycliffe Gordon an der Posaune. Selten hört man einen so großen, mächtigen, ja fast bedrohlichen Jazzposaunensound. Zeitweise war die Posaune (dramaturgisch passenderweise) gleichermaßen Waffe wie Instrument.

Das radio.string.quartet.vienna musizierte tapfer gegen die Tiefblech-Armada an – und das bisweilen auf verlorenem Posten, denn manchmal ging es schlichtweg pegelmäßig unter.

Heimlicher Star des Abends war Tubist Albert Wieder. Mit ungeheurer Klangfülle, astreiner Intonation und untrüglichem Groove hielt er die unwahrscheinliche Kapelle zusammen.

Ein frisches, erfreuliches Konzertereignis das einfach Spaß macht.

angetan,
AY

Pat Metheny Unity Band, 29.06.12, Konzerthaus Wien

Pat Metheny vor seinem OrchestrionNein, ich schreibe keine Rezension über Pat Methenys Konzert. Das wäre völlig überflüssig. Er ist ein rundherum kompletter Musiker.

Von all der Verehrung und dem ganzen Musikerkram mal abgesehen ist mir während des Konzerts folgender Gedanke in den Sinn gekommen:

Pat Metheny ist für mich wie ein geliebter Onkel, der hin und wieder auf Besuch kommt, um Geschichten aus seinem Leben zu erzählen. Man freut sich schon lange vorher auf seine Ankunft, setzt sich zu ihm hin und hört einfach gerne zu, weil er immer etwas spannendes zu erzählen hat, und einem in jeder Lebenslage irgendwie weiterhelfen kann. Einfach schön.

Oz Noy Trio, 08.05.12, Porgy&Bess Wien

Nachdem ich (mehrfach) darauf hingewiesen wurde, dass meine Quasi-Konzertkritiken auf Facebook nicht wirklich gut aufgehoben sind, poste ich sie ab sofort hier im Blog…

Scofield und Johnson sind an Oz Noy nicht spurlos vorbeigegangen, Henderson noch viel weniger. Dennoch spricht er mit eigener Stimme, und die hat Profil und eigenständigkeit. Ein feiner Gitarrist.

Auf einer solchen rhythm section ist aber auch leicht fliegen und Darryl Jones/Dave Weckl überstrahlen selbst die abgefahrensten Fusion-Exkursionen mit geradezu übermenschlichem groove. Die Zusammen-/arbeit der Beiden ist einfach zu beschreiben: absolute Perfektion

Oz Noys Kompositionen sind originell, witzig, intelligent und auch die unvermittelt eingeworfenen, schwer rockenden rhythm changes kommen gut, genauso wie „Perverted Monk“.

Ein Power-Fusion-Trio auf allerhöchstem Niveau, das keine Wünsche offen lässt. Prädikat multiple ohrgasms. Geil. 😀

Spielen Sie denn nicht aus Freude an der Musik?

Vor kurzem spielte ich auf Vermittlung eines gemeinsamen Bekannten mit einer Sängerin im Duo ein kurzes Medley aus älteren Popsongs mit neuen, satirischen Texten auf einer Veranstaltung. Nichts aufregendes, einfach nur eine lustige, lockere Angelegenheit. Die Sängerin war eigentlich keine Sängerin, was ja zur Zeit besonders angesagt ist. Die Vorbereitungszeit für den Auftritt beschränkte sich auf ein paar Stunden, die allerdings mangels eines Arrangements oder auch nur einer konkreten Vorstellung recht arbeitsintensiv waren. Eine Gage wurde dafür nicht bezahlt, es handelte sich um eine „lustige“ Veranstaltung, wo kein Geld fließt und man aus Spaß an der Freude partizipiert.Das Problem mit derartigen „Aufträgen“ ist, dass sie mitverantwortlich sind für eine völlig verschobene Wahrnehmung des Musikschaffens und, noch mehr, der Musikschaffenden durch die beachtliche Bevölkerungsgruppe der Nichtmusiker. Gerade solche Konstellationen („…einfach ein paar Lieder, ganz einfach, ganz locker, muss gar nicht professionell klingen, kann nämlich selbst eh nicht so toll singen, muss nur Spaß machen“, etc.) sind nämlich für beteiligte „echte“ Musiker durchaus anspruchsvoll. Es gilt, in kürzester Zeit mit musikalisch völlig unversierten Menschen ein rudimentäres Arrangement zu erstellen. Man kann sich nicht in normaler Musiksprache verständigen. Stattdessen müssen bei jeder winzigen Änderung stets Aufnahmen erstellt und umgehend abgehört werden. Es wird praktisch nie brauchbares Notenmaterial gestellt. Bestenfalls gibt es einen aus dem Web ausgedruckten Text mit ein paar, zumeist falschen, Akkordsymbolen. Und eventuell ein paar Youtube-Links. Das hören wir uns dann einfach raus (das hörst DU dir dann schon raus [denn du bist schließlich der Musiker]). Wahrscheinlich geht sich die Originaltonart dann aber doch nicht aus. Macht ja nichts, spiel es doch mal „ein bisschen“ tiefer. Das ist vielleicht gar sehr tief, geht es ein klein wenig höher? Eine brauchbare Information vorneweg, im Sinne von A-Dur, d-moll, ein Halbton tiefer als die Aufnahme – leider zuviel verlangt. Sei halt nicht so unentspannt.

In Wirklichkeit bekommen die „Auftraggeber“ solcher angeblichen Spaßaktionen eine hochspezialisierte Leistung, die nur eine winzige Gruppe der Menschheit nach jahrzehntelanger Vorarbeit zu leisten imstande ist, gratis und frei Haus geliefert. Und sind sich dessen nicht einmal annähernd bewußt.

Die Quintessenz:
Wir Musiker dürfen nicht erwarten, dass ausgerechnet angesichts der heutigen Medienlandschaft die Menschen uns und unsere Leistung von sich aus verstehen oder gar respektieren. Die meisten Musikverbraucher haben schlichtweg keinen blassen Schimmer von der Komplexität, den Hindernissen und ganz einfach der Länge des Weges von den ersten musikalischen Gehversuchen bis zur Bühnenreife. Wir müssen es ihnen SAGEN. Sie kennen nur die paar Minuten oder Stunden, die wir auf Bühnen verbringen und dabei (hoffentlich) unsere Ernte einfahren. Der vorangegangenen, jahrzehntelangen Kultivierungsarbeit sind sie sich nicht bewusst. Wir müssen es ihnen SAGEN. Auch auf die Gefahr hin, vielleicht wichtigtuerisch zu erscheinen. Man betrachte das immense Selbstbewußtsein, mit dem so manch sogenannt „solide“ Berufsgruppe ihr Schaffen vertritt. Ein Schaffen das jeder durchschnittlich intelligente Mensch ohne besonderes Talent binnen weniger Jahre erlernen kann. Falsche Bescheidenheit ist keine Zier.