Archiv der Kategorie: Senf

Lieber Autoharp als Golden Harp

Vergangenen Samstag durfte ich eine bemerkenswerte Erfahrung machen, die ich so bald nicht wieder vergessen werde und der geneigten Leserschaft nicht vorenthalten möchte:

Nach etwa 20 Jahren als aktiver Musiker in der Wiener „Livemusik-Szene“ hat man einiges an Erfahrungen gesammelt. Nicht wahnsinnig viel positives. Mit gewissen Abstrichen ist in der selbsternannten Welthauptstadt der Musik einfach zu rechnen; viele Dinge regen mich daher schon längst nicht mehr auf, wenn ich an einem „Venue“ ankomme – etwa solche (klitzekleine Auswahl, kein Anspruch auf Vollständigkeit):

  • Es gibt keine Bühne.
  • Es gibt keine Technik.
  • Es gibt Technik, die aber defekt und unbrauchbar ist.
  • Es gibt keinen Strom (=im „Bühnenbereich“, man muss daher Kabel quer durchs Lokal spannen und wird dafür vom „Wirten“ ob der Stolperfallen gescholten.
  • Es gibt kein Publikum (außer jenem, das man selbst mitgebracht hat).
  • Es gibt ein Publikum, das die dargebotene Art von Musik aber kategorisch ablehnt.
  • Es gibt ein Publikum, das sich aber einfach nur in Ruhe unterhalten will und Livemusik allenfalls gnadenhalber toleriert, solange sie leicht, bekömmlich und v.a. leise ist.
  • Der Wirt (geschlechtsneutral) jammert schon vor dem Aufbau, dass zuwenige Leute kommen werden und er die vereinbarte Mindestgage daher nicht zahlen wird „können“.
  • Der Wirt (geschlechtsneutral) jammert nach dem Abbau, dass zuwenige Leute kamen und er die vereinbarte Mindestgage daher nicht zahlen „kann“.
  • (Der Wirt (geschlechtsneutral) nimmt übrigens von „Nachverhandlungen“ mit sonstigen Zulieferern Abstand, da er sonst nicht mehr mit Getränken/Lebensmitteln/Strom/dem gemieteten Lokal versorgt würde; denn außer Musikern (geschlechtsscheißegal) ist niemand so blöd, Nachverhandlungen über bereits korrekt erbrachte Leistungen zuzulassendie würden ihn/sie/es einfach nicht mehr beliefern und es wäre sehr schnell sehr finster im Lokal .)
  • Im Nebenraum findet eine Party mit sehr lauter und sehr elektronischer Konservenmusik statt, sodass ein Konzert einfach nicht machbar ist.
  • Es gibt keine Garderobe, man muss Instrumente/Equipment/Garderobe/persönliche Gegenstände in unversperrbaren und mehr oder minder schmutzigen Lager-/Maschinen-/Kühlräumen zwischenlagern… und hier schlage ich die Brücke zum aktuellen Anlass dieser Zeilen.

All dies und viel mehr nimmt man nämlich in Kauf, um doch dann und wann mal ein „Konzert“ darzubieten. Ich hatte es auch im Hinterkopf, als ein Freund und Kollege mehrere andere Bandkollegen und mich kürzlich fragte, ob wir bei seinem Auftritt in einem Pub im dritten Wiener Gemeindebezirk, gemeinsam mit zwei anderen Acts, mitziehen würden. Es wäre mit keinerlei nennenswerten Einnahmen zu rechnen; doch die Musik ist gut und die Mitmusiker ebenso – also warum nicht. Trotz der wenig verführerischen Konditionen sagte die Band vollzählig zu – es gibt ihn noch, den Idealismus unter Musikern.

Für diejenigen, die mit dem „Konzertbetrieb“ auf Beislniveau nicht vertraut sind, hier ein kleiner Einblick in den Ablauf eines solchen Abends:

  • Der ursprüngliche Plan für den Abend sieht vor, dass einer der anderen Acts eröffnet (weil vom Charakter her sehr „akustisch“), danach wir spielen (auch noch akustisch, aber etwas lauter), und zuletzt der rockigste Act spielt – eine übliche und sinnvolle Dramaturgie, denn „leise“ nach „laut“ wird vom Publikum für gewöhnlich durch spontane WC- und Barbesuche, bisweilen auch sofortigen Aufbruch quittiert (ähnlich wie ausgedehnte Instrumentalpassagen übrigens).
  • Eine der anderen Bands bringt eine P.A. (Beschallungsanlage) mit… die wir aber nicht wie üblich mitbenutzen dürfen, da sie nach deren Auftritt sofort wieder abgebaut werden muss. Jeder von uns nimmt daher einen eigenen, kleinen Verstärker mit, was uns autark macht… und sehr viel weniger laut als die anderen.
  • An sich ist eine P.A. im Lokal vorhanden; diese scheint aber so schlecht, bzw. defekt zu sein, dass man damit nicht sinnvoll arbeiten kann (siehe Punkt oben).
  • Aus mir unbekannten Gründen wird die Reihenfolge geändert und wir sollen nun als letztes spielen. Nach dem zweiten Act erfolgt laut dem neuem Plan also eine längere Umbaupause (wegen Abbau der P.A.) und erst danach sind wir „dran“.
  • Soundcheck ist für 18 Uhr geplant, bitte sich vorher am Venue einzufinden (vor einem Soundcheck muss nämlich erstmal alles aufgebaut werden… und das dauert).
  • Noch bevor ich im Lokal ankomme, wird der Soundcheck auf 18:30 verschoben. Konzertbeginn ist übrigens 20:00.
  • Jemand aus einer anderen Band hat massive Verspätung – er hat einen großen Teil des Equipments bei sich und ohne ihn geht nichts.
  • Üblicherweise gibt es irgendeine Form von Getränkebons für die Musiker, manchmal geht auch ein Abendessen aufs Haus. Laut Kellnerin im Erdgeschoss gibt es „unten“ Bons, die aber auch nur „unten“ gültig sind. Laut Kellner im Untergeschoss gibt es allerdings gar keine Freigetränke, alle Konsumationen seien normal zu bezahlen.
  • Tatsächlicher Beginn des Soundchecks ist 20:00.
  • Bis die eine Band mit ihrem Soundcheck fertig ist (20:45), hat sich das Publikum bereits eingefunden und die anderen beiden Bands haben keine Möglichkeit mehr, auch nur eine schnelle Funktionsüberprüfung durchzuführen. Das Konzert beginnt um 20:50.

Bis hierher ist das alles völlig normal, so läuft es eben in der schönen Glamour-Scheinwelt von Las Erdberg. Nun zu den Besonderheiten jenes Abends im dritten Wiener Gemeindebezirk:

Drei Bands plus Anhang sind relativ viele Menschen, ein guter Teil des kleinen Kellerraumes wird durch uns bereits belegt. Musiker und Anhang konsumieren Speis und Trank; sorgen für konstanten Umsatz im Lokal, bevor noch Publikum da ist. Die Kellner stellen fest, dass sie nicht genügend Plätze haben, um die bestehenden Reservierungen zu bedienen und werden nervös. Die Musiker werden uncharmant aufgefordert, zusammenzurücken und ihr „Zeug“ (Instrumente, Equipment, etc.) wegzuräumen – die Bühne ist sehr klein und es kann immer nur eine Band aufbauen. Als „Garderobe“ wird uns eine Art Lagerraum neben dem Saal zugewiesen – dort sei alles hinzuverbringen.

Gegenstände werden hektisch herumgetragen. Unser Sänger sucht eine halbe Stunde lang nach seiner Jacke… samt Wohnungsschlüsseln und Brieftasche mit sämtlichen Geldkarten. Irgendwer hat sie auf Geheiß des Kellners irgendwohin gelegt und irgendwann taucht sie auch tatsächlich wieder auf. Genau was man kurz vor einem Auftritt zur Entspannung braucht. Nachdem es nur für die zweite Band einen Soundcheck gab, sind die Settings auch nur für sie optimert. Die erste Band bemüht sich redlich, doch mit den radikalen Hallfahnen auf den Mikrofonen können sie nicht arbeiten und geben es schließlich auf; sie gehen von der Bühne und spielen unverstärkt im Publikumsraum. Gut und professionell gelöst, doch im Grunde eine Zumutung. Als die zweite Band mit ihrem Set beginnt, haben wir uns schon darauf eingestellt, dass das Haus nach der kommenden Umbaupause ohnehin leer sein wird. Trotzdem machen wir uns spielbereit. Ich möchte kurz Luft schnappen gehen. Auf dem Weg nach oben ins Erdgeschoß kommt mir unser Bassist entgegen und bittet mich, kurz seinen Kontrabass zu halten, da er schnell seine restlichen Dinge aus dem Lagerraum holen müsse. In den nächsten Sekunden spielt sich ein richtig, richtig schlechter Film ab:

Ein sichtlich nervöser Kellner erklärt mir, dass mein Kollege jetzt sofort das Lokal verlassen würde. Einen Moment lang denke ich, dass er einfach gehen will, doch nein – er wird gerade rausgeworfen. Die Frage nach dem warum wird nicht beantwortet: „Das kann er euch dann selber erklären.“ Auch nach wiederholter Nachfrage ist keine sachliche Kommunikation möglich. Ein anderer Mann kommt dazu, angeblich der Geschäftsführer. Auch er erklärt, noch wesentlich gereizter, dass mein Kollege sofort das Lokal zu verlassen habe. Eine Erklärung oder Begründung dafür findet nicht statt. Einen Augenblick später kommen zwei Polizisten dazu, die offenbar unseren Bassisten hinauseskortieren sollen. Die Beamten sind sehr freundlich, nachdem sie schnell feststellen, dass es offenbar kein Problem gibt, welches eine Amtshandlung erfordern würde. Zu diesem Zeitpunkt hat mein Kollege bereits seine Sachen zusammengesucht und macht sich auf, diesen ungastlichen Ort zu verlassen. Unser Sänger versucht derweil noch immer, mit dem Geschäftsführer ein Gespräch zu führen und das Konzert zu retten – aussichtslos. Eigentlich sollten wir gleich auf die Bühne gehen, doch an eine Durchführung des Konzerts ist nicht mehr zu denken. Der Veranstalter lässt meinen Kollegen gerade durch die Polizei rauswerfen, ohne artikulieren zu können weswegen – hier spiele ich nicht, hier bleibe ich nicht, dies ist eine zutiefst feindliche und inakzeptable Umgebung. Wir packen unsere Sachen zusammen und verlassen das Lokal – der Gastgeber brüllt uns noch ein „vorher zahlen!“ nach (alles ist (leider) längst bezahlt) und kaum fünf Minuten nachdem ich einfach nur vor unserem Auftritt kurz rausgehen wollte, sind wir aber sowas von draußen.

Zunächst sind wir alle einfach nur völlig verwirrt, keiner von uns hat jemals zuvor etwas in der Art erlebt. Langsam puzzlen wir zusammen, was sich da eigentlich zugetragen hat: unser Bassist hatte sein Instrument und seine persönlichen Gegenstände – wie alle anderen Musiker – auf strikte Anweisung der Kellner im Lagerraum neben dem Saal abgestellt. Vor unserem Auftritt wollte er sich kurz dorthin zurückziehen um ein Telefonat zu führen, seinen Kontrabass spielbereit zu machen, etc. – was man eben vor einem Konzert in der „Künstlergarderobe“ so tut. Ein Kellner betrat den Raum, fand unseren Kollegen darin vor und forderte ihn äußerst unwirsch auf, sofort den Raum zu verlassen. Dieser wusste nicht wie ihm geschah und versuchte zu erfragen, wieso er nun plötzlich nicht in just jenem Raum sein dürfe, der uns – in höchst inadäquatem Tonfall- zugewiesen worden war. Der Kellner war äußerst geladen und holte den Geschäftsführer dazu, der die Situation erst richtig zur Eskalation brachte und anscheinend auch gleich nach der Polizei rief. Mein Kollege wollte abermals wissen, wieso er sich nun plötzlich nicht im Raum aufhalten dürfe, woraufhin der freundliche Gastgeber andeutete, mit einem Bierfass (ja, einem Bierfass) auf ihn loszugehen. Das Klima war äußerst aggressiv und bedrohlich; um Handgreiflichkeiten zu vermeiden und die absurde Situation zu deeskalieren begann mein Kollege, seine Sachen zu packen. Gleich darauf lief ich ihm bei der Stiege zum Ausgang über den Weg. Die ganze Geschichte hatte sich innerhalb weniger Minuten abgespielt. Zwischenzeitlich wurden wir noch mit ein paar hochintellektuellen Freundlichkeiten bedacht, z.B. auf die nicht wegzudiskutierende Größe des Kontrabasses bezogen „Hättest Flöte g’lernt, hättest jetzt ka Problem“.

Seither habe ich mich umgehört und von mehreren Seiten gehört, dass das „Management“ des Lokals öfter mal derartige Anwandlungen an den Tag legen dürfte und zu aggressiven Ausbrüchen neigen soll. Sympathische Zeitgenossen.
Irgendeine Form von Problembewußtsein scheint übrigens durchaus vorhanden zu sein, denn der Facebook-Event zur Veranstaltung mit den entsprechenden Kommentaren diverser Besucher und Teilnehmer war ganz schnell gelöscht. Die zu erwartende Nachrede verteilte sich somit auf diverse Facebook-Postings und natürlich auch Lokalbewertungen.

Vor 15 Jahren hätte ich in so einer Situation zum Boykott aufgerufen, doch ich musste lernen, dass es ganz speziell unter Musikern keinerlei Solidarität gibt und grundsätzlich immer jemand bereit ist, unter noch so miserablen Bedingungen zu spielen, nur um irgendwo gespielt zu haben. Egal was ich zu wem auch immer sage, auch morgen und nächste Woche und nächstes Jahr wird sich irgendwer in diesem und jedem anderen armseligen Beisl wie Dreck behandeln lassen, nur um vor zehn Leuten ein Liedchen trällern zu dürfen. Mir bleibt daher nur, meine ganz persönliche Konsequenzen zu ziehen:
1. „Bevor wir gar nicht spielen,…“ – NEIN – bevor ich unter derartigen Umständen „performe“, spiele ich lieber zuhause für mich allein.
2. Ich werde weder diesen Laden, noch einen seiner Partnerbetriebe jemals wieder betreten. Sollten mich Freunde dorthin einladen werde ich absagen und erklären wieso. Sollten Kollegen dort spielen werde ich absagen und erklären wieso. Ein derartiges Verhalten darf nicht toleriert werden.

Danke für den aufschlußreichen Abend, ich empfehle Sie gerne weiter: man sieht sich NIEMALS in einem Golden Harp und GANZ BESONDERS NIEMALS im Golden Harp, Erdbergstraße 27, 1030 Wien

Zypern 2013

Die berechtigte Frage nach der Herkunft ausländischer Milliarden auf zypriotischen Konten mal außer Acht gelassen: nun ist es soweit. Der Staat, oder vielmehr die vereinigten Staaten, greift erstmalig in der neueren Geschichte auch dem sprichwörtlichen „kleinen Sparer“ tief in die Taschen und nimmt sich heraus, was er nach eigenen Angaben so braucht, um weiter über die Runden zu kommen.

Man kann es wohlwollend als solidarischen Beitrag der Vielen zum Wohle der noch Vieleren bezeichnen, denn der Zusammenbruch eines ganzen Staates (gemeint ist damit wieder einmal: eines nationalen Finanzsystems) nützt ja wohl niemandem. Außer natürlich jenen Branchen, denen er eben doch nützt.

Man kann es aber auch anders betrachten: Vater Staat (ich habe noch nie ein Gender Mainstreaming-Seminar besucht und weiß es daher nicht besser) hat kläglich versagt und das Wahlvieh soll die Zeche bezahlen. Zugespitzt: ein paar gutgestellte Einzelpersonen haben zu viel Geld ausgegeben und alle anderen sollen ihnen dafür etwas von ihrem abgeben, damit die Party weitergehen kann.
Das Herausragende an der Geschichte ist für mich aber nicht die Frage, ob diese Vorgangsweise nun korrekt ist – ethisch und moralisch vertretbar, demokratisch legitimiert und rechtlich haltbar. Das ist eigentlich völlig irrelevant, denn erstens werden die Regeln von Regierungen und dem Finanzsektor faktisch für sich selbst aufgestellt – und diese Branchen leben einfach nicht in erster Linie von Ethik und Moral. Zweitens würde man sich das Geld so oder so holen. Einfach die Bankomaten abzuschalten und alle Banken zu schließen, damit die Menschen ihr Geld nicht in „Sicherheit“ bringen können, ist natürlich eher plump. Zumindest etwas unauffälliger und sicher nachhaltiger wäre es, sämtliche Alltagsgüter kräftig zu verteuern und somit wirklich jedem Bürger ein paar Kreuzer abzuluchsen; nicht nur jenen, die ein paar Tausender auf der hohen Kante haben. So oder so, der Staat nimmt sich was er haben mag. Keine neue Erkenntnis und ganz bestimmt keine Sensation.

Diese Episode der europäischen Geschichte zeigt aber sehr deutlich einen anderen, viel wesentlicheren Faktor auf: den grenzenlosen Glauben an das Geld. Das einzige, was einem Bündel dreckiger Papierfetzerl einen gewissen Wert verleiht, ist der unerschütterliche Glaube daran. Unser ganzes aufgeblähtes Wirtschaftssystem, die gewaltigen Summen mit den im Hintergrund mitvibrierenden, x-fach virtualisierten, noch viel gewaltigeren Summen basiert ausschließlich auf fanatischem Glauben an dieses System. Millionen Menschen definieren ihren Lebenserfolg über eine virtuelle Zahl, die nach ihrem Tod auf irgendeinem Sparkonto möglichst viele Nullen haben soll. Ob mit dieser Zahl irgendein real auf der Erde existierender oder je existiert habender Wert verknüpft ist? Wurscht. Nun ist Glaube ja eine ganz nette Sache, wenn man Dschihadist ist, oder neuer und verbesserter Papst, oder Lichtesser oder ähnliches. Aber als über Gedeih und Verderb entscheidende Grundlage für alles Leben auf unserem Planeten? Schon der Volksmund sagt: „glauben heißt nix wissen.“ Dieses lächerliche Spiel hat zwar hunderte Millionen verbissener Mitspieler. Das macht es aber nicht weniger lächerlich.

Das universelle Recht auf Unrecht

Vor einigen Tagen hörte ich eine Radiosendung über die unsäglichen Vorgänge in österreichischen Kinderheimen (siehe z.B. die Presse). Über dieses erschütternde Thema geriet ich derartig in Rage, dass ich in aller Social Media-Öffentlichkeit gegen eine eherne Regel des Österreichertums verstieß: Ziehe niemals einen Vergleich zwischen den grauenhaften Verbrechen der Menschheit während der NS-Zeit und den grauenhaften Verbrechen der Menschheit davor und danach. Ich verstehe zwar nicht wieso, aber man darf das auf keinen Fall tun.

Ich tat es dennoch und bezeichnete die Lager, in denen Kinder von einem staatlich/kirchlichen, äußerst diskreten Unrechtsapparat wie Sklaven gehalten, physisch und psychisch gefoltert und ganz nach Belieben ausgebeutet wurden, in einem facebook-posting als Kinder-KZ. Der erwartet empörte Aufschrei folgte auf dem Fuße. Was genau soll nun aber an diesem Vergleich so so inakzeptabel sein?

Ein unbestrittener Unterschied besteht darin, dass die Vernichtungslager der Nazis im Endeffekt der Ermordung ihrer Insassen dienten, was bei Kinderheimen natürlich nicht der Fall ist. Zehntausende Kinder kamen zwar völlig zerstört, aber medizinisch betrachtet lebendig aus den Heimen der aktuell medienpräsenten Zeit heraus. Doch beides steht für institutionalisierte Grausamkeit und systemimmanentes Unrecht – die Grenzen sind fließend. So fließend, dass ich sie nicht als Grenzen anerkenne. Wo immer ein Machtgefälle auf derart absurde Weise überhöht und zum Mittelpunkt eines geschlossenen Systems gemacht wird, wo totale Rechtlosigkeit auf der einen und faktische Allmacht auf der anderen Seite herrschen, tritt die wahre Natur des Menschen ans Tageslicht: grausam, heimtückisch, feige.

Ob das nun aus rassistischen, politischen, religiösen oder sonstigen Motiven passiert ist schlicht irrelevant. Menschen werden unterdrückt, gequält, ausgebeutet, körperlich und seelisch zerstört. Ob Nazi-Vernichtungslager, US-Foltercamp, chinesisches Arbeitslager, Gaza, Nordkorea, Somalia, katholisches Kloster oder österreichisches Kinderheim. All die Untaten wurden und werden letztlich nicht vom „System“ begangen, sondern von einzelnen Menschen. Und diese Menschen handelten und handeln im entscheidenden Moment nicht aus politischen Gründen. Sondern aus persönlicher Grausamkeit. Stets wohlbehütet von einer Mauer des Schweigens, erbaut aus Obrigkeitshörigkeit und pervertiertem Pflichtbewusstsein. Weil zwischen dem Menschen und seiner monströsen Natur ganz offensichtlich nichts weiter steht als Mangel an Gelegenheit.

Aber solange die Menschheit sich weigert, die auffälligen Gemeinsamkeiten quer durch alle Zeitalter, Kontinente und Regime zu erkennen und es stattdessen primär darauf ankommt, ob eine Opfergruppe eine starke Lobby hinter sich hat oder eben nicht, kann sich daran auch nichts ändern.

Meine Haltung dazu wird höchstwahrscheinlich als schwere Verletzung der political correctness betrachtet. Und wenn ich auf diesen erbärmlichen Verwandten der Diplomatie jemals Wert gelegt hätte, wäre ich mit großer Sicherheit ein erfolgreicherer Netzwerker und mit noch größerer Sicherheit wirtschaftlich wesentlich besser aufgestellt, als ich es bin. Aber mit größter Sicherheit könnte ich mich nicht mehr im Spiegel ansehen.

Eines noch zum Thema Nationalsozialismus: schon unsere Großelterngeneration wurde für ihre Argumentation „Wir hatten ja keine Ahnung!“ mehr als schief angeschaut. Wie werden wir eigentlich unseren Enkelkindern in 50 Jahren erklären, dass wir von den unaussprechlichen Vorgängen auf unserem Planeten, die wir diesmal 24/7 per HD-Livestream inklusive Nachtsichtmodus auf unsere Kommunikationsspielzeuge geliefert bekamen, doch wirklich nicht die geringste Ahnung hatten? Es wäre natürlich viel bequemer, die Schweinereien eines halben Jahrhunderts ein weiteres Mal der übernächsten Generation zur „Aufarbeitung“ umzuhängen, aber soll es ewig so weitergehen? Menschen leiden und sterben JETZT. Gegenwarts- statt Vergangenheitsbewältigung – unserer Rasse einzige Hoffnung.

unoptimistisch,
AY

Endlich ein Blog…

Nun habe ich also auch einen Blog. Endlich. Endlich kann ich euch mit garantiert subjektiven Ansichten und Gedanken zu den Themen versorgen, die euch am meisten interessieren. Oder halt eben nicht.

Jedenfalls werde ich mich hier in unregelmäßigen Abständen auslassen. Schau ma mal ob was draus wird.