Spielen Sie denn nicht aus Freude an der Musik?

Vor kurzem spielte ich auf Vermittlung eines gemeinsamen Bekannten mit einer Sängerin im Duo ein kurzes Medley aus älteren Popsongs mit neuen, satirischen Texten auf einer Veranstaltung. Nichts aufregendes, einfach nur eine lustige, lockere Angelegenheit. Die Sängerin war eigentlich keine Sängerin, was ja zur Zeit besonders angesagt ist. Die Vorbereitungszeit für den Auftritt beschränkte sich auf ein paar Stunden, die allerdings mangels eines Arrangements oder auch nur einer konkreten Vorstellung recht arbeitsintensiv waren. Eine Gage wurde dafür nicht bezahlt, es handelte sich um eine „lustige“ Veranstaltung, wo kein Geld fließt und man aus Spaß an der Freude partizipiert.Das Problem mit derartigen „Aufträgen“ ist, dass sie mitverantwortlich sind für eine völlig verschobene Wahrnehmung des Musikschaffens und, noch mehr, der Musikschaffenden durch die beachtliche Bevölkerungsgruppe der Nichtmusiker. Gerade solche Konstellationen („…einfach ein paar Lieder, ganz einfach, ganz locker, muss gar nicht professionell klingen, kann nämlich selbst eh nicht so toll singen, muss nur Spaß machen“, etc.) sind nämlich für beteiligte „echte“ Musiker durchaus anspruchsvoll. Es gilt, in kürzester Zeit mit musikalisch völlig unversierten Menschen ein rudimentäres Arrangement zu erstellen. Man kann sich nicht in normaler Musiksprache verständigen. Stattdessen müssen bei jeder winzigen Änderung stets Aufnahmen erstellt und umgehend abgehört werden. Es wird praktisch nie brauchbares Notenmaterial gestellt. Bestenfalls gibt es einen aus dem Web ausgedruckten Text mit ein paar, zumeist falschen, Akkordsymbolen. Und eventuell ein paar Youtube-Links. Das hören wir uns dann einfach raus (das hörst DU dir dann schon raus [denn du bist schließlich der Musiker]). Wahrscheinlich geht sich die Originaltonart dann aber doch nicht aus. Macht ja nichts, spiel es doch mal „ein bisschen“ tiefer. Das ist vielleicht gar sehr tief, geht es ein klein wenig höher? Eine brauchbare Information vorneweg, im Sinne von A-Dur, d-moll, ein Halbton tiefer als die Aufnahme – leider zuviel verlangt. Sei halt nicht so unentspannt.

In Wirklichkeit bekommen die „Auftraggeber“ solcher angeblichen Spaßaktionen eine hochspezialisierte Leistung, die nur eine winzige Gruppe der Menschheit nach jahrzehntelanger Vorarbeit zu leisten imstande ist, gratis und frei Haus geliefert. Und sind sich dessen nicht einmal annähernd bewußt.

Die Quintessenz:
Wir Musiker dürfen nicht erwarten, dass ausgerechnet angesichts der heutigen Medienlandschaft die Menschen uns und unsere Leistung von sich aus verstehen oder gar respektieren. Die meisten Musikverbraucher haben schlichtweg keinen blassen Schimmer von der Komplexität, den Hindernissen und ganz einfach der Länge des Weges von den ersten musikalischen Gehversuchen bis zur Bühnenreife. Wir müssen es ihnen SAGEN. Sie kennen nur die paar Minuten oder Stunden, die wir auf Bühnen verbringen und dabei (hoffentlich) unsere Ernte einfahren. Der vorangegangenen, jahrzehntelangen Kultivierungsarbeit sind sie sich nicht bewusst. Wir müssen es ihnen SAGEN. Auch auf die Gefahr hin, vielleicht wichtigtuerisch zu erscheinen. Man betrachte das immense Selbstbewußtsein, mit dem so manch sogenannt „solide“ Berufsgruppe ihr Schaffen vertritt. Ein Schaffen das jeder durchschnittlich intelligente Mensch ohne besonderes Talent binnen weniger Jahre erlernen kann. Falsche Bescheidenheit ist keine Zier.

2 Gedanken zu „Spielen Sie denn nicht aus Freude an der Musik?“

  1. Nicht, daß ich auch nur einem der genannten Punkte widersprechen wollen würde, oder auch nur die Chance dazu bestünde ohne zu lügen oder sich zu irren, nein, ich würde in vielem sogar noch deutlich, und das aus vollster, aus Erfahrung resultierender Überzeugung, weiter gehen, so halte ich es doch für eine, wenn auch sehr schön formulierte und gehaltvolle, Sisyphosarbeit.
    Die Kombination der durchschnittlichen Auffassungsgabe des deutschsprachigen Plebs in Kombination mit der fast nicht vorhandenen Neugier, dem damit in sehr engem Zusammenhang stehenden Kunstverständnis, seine Bereitschaft für Dinge die ihm wichtig sind, und nicht einmal darüber sind sich die meisten im klaren, zu zahlen und nicht zuletzt dessen himmelschreiende Ignoranz degradieren diesen deinen Text, und sicher niemand trifft dies mehr als mich, zur kurzweiligen Unterhaltung.
    Doch abschließen soll mein philosophischer Held:
    „Was ist den Bescheidenheit anderes als geheuchelte Demut, mittels welcher man in einer von niederträchtigem Neide strotzenden Welt für Vorzüge und Verdienste die Verzeihung derer erbetteln will, die keine haben.“
    (Arthur Schopenhauer)
    P.S.: Grüße vom Notstandshilfe empfangenden, um nicht aus der Gemeindewohnung zu fliegen für Langzeitarbeitslose Klos putzenden, weit überdurchschnittlich gebildeten Bildungsjunkie mit abgeschlossenem künstlerischem Doppelstudium 😉

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